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Halle-Neustadt „Kurzumtriebsplantage Lüneburger Bogen“

(Sachsen-Anhalt)

Nachwachsende Rohstoffe auf Abrissbrachen in Großwohnsiedlung

Der Stadtteil Halle-Neustadt hat fast die Hälfte seiner Bevölkerung verloren und der leerstandsbedingte Abriss von Wohngebäuden hat zahlreiche Brachen entstehen lassen. Als Alternative zu einer einfachen Begrünung wurde in einem Pilotprojekt am Lüneburger Bogen die brachliegenden Flächen eines Wohnungsunternehmens für eine "Kurzumtriebsplantage" genutzt, d.h. durch die Anpflanzung von Pappeln, die nach wenigen Jahren wieder entfernt werden, können nachwachsende Rohstoffe zur lokalen Energiegewinnung gewonnen werden.

Kontext

Blick auf das entstandene Feld Ende 2007Quelle: Stadtwirtschaft GmbH Halle

Halle-Neustadt wurde in den 1960er bis 1980er Jahren als eines der städtebaulichen Vorzeige-Projekte der DDR errichtet. Nach 1990 verlor der Stadtteil ca. 44% seiner Einwohner. Hohe Leerstände veranlassten die Stadt bereits 2001, gemeinsam mit den Wohnungsunternehmen ein gesamtstädtisches Integriertes Stadtentwicklungskonzept (ISEK) zu erarbeiten, mit dem Ziel, umfassend Wohngebäude abzureißen.

Wegen der Stadtrandlage, des niedrigen Sanierungsstandes und hoher Leerstandsquoten liegt ein strategischer Rückbau-Schwerpunkt im Wohnkomplex VI. Dort soll auf den Abrissflächen der angrenzende Landschaftsraum erweitert und als Grünfläche zur Naherholung, zum Gartenbau genutzt oder landwirtschaftlich bewirtschaftet werden. Mit dem Pilotprojekt sollte erprobt werden, wie bei fehlender Nachfrage nach Wohnraum und mangelnden Ressourcen für die Pflege von öffentlichem Grün die Nutzung als „Energiewald“ eine produktive Nutzung von Brachflächen möglich ist.

Projektbeschreibung

Wildkrautbekämpfung durch Mitarbeiter der StadtwirtschaftQuelle: BEC GmbH Biotechnic

Die Stadtwirtschaft GmbH Halle entwickelte in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Wohn- und Gewerbeimmobilien (GWG) ein Konzept, auf der 0,8 Hektar großen Abrissfläche Lüneburger Bogen eine Kurzumtriebsplantage mit schnell wachsenden Balsampappeln anzulegen. Motiv für die Stadtwirtschaft ist die Gewinnung eines vermarktbaren Brennstoffes (Holzhackschnitzel und Holzpellets) aus dem anfallenden Grünschnitt. Im Jahr 2007 wurden daher 18.000 Stecklinge gesetzt, um deren Holz alle 3 bis 4 Jahren zu ernten.

Das Projekt wurde als Pilotprojekt definiert, da eine Klassifizierung als landwirtschaftliche Fläche kurzfristig nicht durchsetzbar war. Mit dem Pilotprojekt sollte die Durchführbarkeit auf einer Abrissfläche erprobt und insbesondere die Rentabilität bewertet werden.

Die Gesellschaft für Wohn- und Gewerbeimmobilien (GWG), Eigentümerin von etwa einem Drittel des Wohnungsbestandes in Halle-Neustadt, hat ein starkes Interesse an kostenneutralen Nachnutzungsformen für Rückbauflächen. Somit bot die Verpachtung der Fläche an die Stadtwirtschaft eine Win-Win-Situation für die beteiligten Akteure, die Vorbildwirkung für andere Flächen entwickeln kann. Stadtwirtschaft und GWG haben einen Pachtvertrag geschlossen, der die Bewirtschaftung als Kurzumtriebsplantage für maximal 20 Jahre vorsieht.

Die Kosten des Oberbodenauftrages und der Anpflanzung der Kurzumtriebsplantage wurden mit Stadtumbaumitteln finanziert. Für die Stadtwirtschaft fällt kein Miet- oder Pachtzins an, im Gegenzug reduzieren sich für die GWG die Kosten für Pflege und Unterhalt der Flächen. Mittelfristig strebt die Stadtwirtschaft die Erschließung neuer Marktchancen an. Kurzumtriebsplantagen werden allerdings erst ab einer Flächengröße von mindestens 2 Hektar rentabel, da erst dann Großmaschinen für die Pflege und Ernte zum Einsatz gebracht werden können. Die Einnahmen werden auf rund 600 Euro/ha/Jahr geschätzt. Im Normalfall benötigen Kurzumtriebsplantagen bis zur Ernte kaum Pflege. Mit Kurzumtriebsplantagen können auch sekundäre Wertschöpfungseffekte erschlossen werden. Die Knospen der Balsampappel eignen sich beispielsweise zur Herstellung kosmetischer Produkte.

Das Projekt hat auch für die Bewohner des Stadtteils positive Effekte. Der sich periodisch verändernde „Stadtwald“ leistet sowohl einen Beitrag zur landschaftlichen Aufwertung des Wohnumfeldes als auch zur Inwertsetzung einer Brachfläche durch eine „produktive Landschaftsform“. Die Kurzumtriebsplantage Lüneburger Bogen stellt einen Baustein zur Umsetzung des vom ISEK gesetzten Leitbildes der Erweiterung des Landschaftsraumes in die Siedlung dar. Das Pilotprojekt trifft sowohl auf Bewohnerseite als auch bei anderen Wohnungsunternehmen auf eine sehr hohe Akzeptanz. Es haben weitere Wohnungsunternehmen Interesse an der Umsetzung von Kurzumtriebsplantagen auf Rückbauflächen bekundet.

Projektchronologie

JahrEreignis
2005Abriss des Gebäudeblocks am Lüneburger Bogen und Mutterbodenauftrag
2007Setzen der Stecklinge
2007Maßnahmen zur Wildkrautbeseitigung
2008Ausweitung der Kurzumtriebsplantage

Ziele

  • Reduzierung des Pflegeaufwandes für die Wohnungsunternehmen durch ökonomisch orientierte Nachnutzung der Rückbauflächen
  • Verbesserung des Mikroklimas, u.a. durch Staubbindung und Windschutz
  • Substanzieller Beitrag zum Klimaschutz durch Herstellung eines CO2- neutralen Brennstoffs
  • Gewährleistung einer nachhaltigen Biomasseproduktion und damit Beitrag zur Schonung endlicher Ressourcen wie Kohle, Erdöl und Erdgas
  • Verbesserung des Wohnumfeldes durch die Bewirtschaftung und Aufwertung brachliegender Flächen
  • Möglichkeit einer Bewertung der Wirtschaftlichkeit unter realen Bedingungen innerhalb des Pilotprojektes

Maßnahmen

Blick auf einen PappelsetzlingQuelle: Stadtwirtschaft GmbH Halle

  • Abriss und Tiefenenttrümmerung
  • Oberbodenauftrag von 30-40 cm
  • Entfernung des unerwartet massiven Wildkrautwuchses im ersten Pflanzjahr
  • Abbruch weiterer Häuser im Quartier auf benachbarten Flächen
  • Ausweitung der Kurzumtriebsplantage

Innovationen

Mannshohe Pappeln im Jahr 2009Quelle: Stadtwirtschaft GmbH Halle

Ein Energiewald in einer Großwohnsiedlung war ein Novum. Der Anbau von nachwachsenden Rohstoffen auf ehemals baulich genutzten Flächen steht dabei nicht in Konkurrenz zu Flächen für die Nahrungsmittelproduktion. Das Projekt setzt Brachflächen wieder in Wert, indem produktive Landschaften entstehen. Die an der Kurzumtriebsplantage beteiligten städtischen Akteure bewiesen Mut zum innovativen Handeln, indem sie trotz unklarer wirtschaftlicher Konsequenzen und unsicherer Rechtslagen eine gemeinsame Lösungsstrategie für den Standort mit dem Ziel der Übertragbarkeit entwickelten. Die Problemlage der Wohnungsunternehmen, zu viele unproduktive Grünflächen pflegen zu müssen, traf auf den Bedarf der Stadtwirtschaft an kostengünstigen Flächen zur Entwicklung eines neuen Produktes für die Energiegewinnung. Das Pilotprojekt Kurzumtriebsplantage ist beispielhaft für eine innovative Kooperation zwischen zwei kommunalen Unternehmen.

Quellen

  • Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) / Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) / Herausgeber: „Renaturierung - als Strategie nachhaltiger Stadtentwicklung“, Dokumentation von Fallstudien in der Reihe Werkstatt:Praxis, Heft 62, Bonn 2009, Renaturierung als Strategie nachhaltiger Stadtentwicklung

Weiterführendes

Projektstandort auf Google-Maps: Halle "Lüneburger Bogen"

Den Projektstandort finden Sie auch unter PLZ: 06126 - Ort: Halle - Straße: Lüneburger Bogen.

Letzte Änderung: 19.07.2017

Zusatzinformationen

Akteure

Datensatz eingestellt am 26.06.2009 vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR).

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